Das Museum Wiesbaden präsentiert »Pilze – Nahrung, Gift, Mythen« in einer Mega-Schau

Von der Stinkmorchel zum unverschämten Rübling

Der kleinen Alice von Lewis Carroll käme das bekannt vor. Wie im Wunderland müsste sie sich fühlen beim Eintritt in die große naturwissenschaftliche Ausstellung »Pilze – Nahrung, Gift und Mythen« im Museum Wiesbaden, als sie sich geschrumpft vor einem riesigen Pilz wiederfand, auf dessen Dach eine Raupe ein Pfeifchen rauchte. Zwei Meter messen die wie zum Empfang aufgereihten Fliegenpilz-, Steinpilz- und Stinkmorchel-Modelle. Später wird uns die zweistöckig angelegte Schau (1.100 qm) sogar mit Fünf-Meter-Exemplaren des »Spitzkehligen Kahlkopfs« überraschen.
Über die halluzinogenen Pilze in Alices Wunderland schweigt sich das Museum Wiesbaden keineswegs aus. Doch sind die »Magic Mushrooms« nur ein kleiner Teil in der Welt dieser Spezies, von der es weltweit bereits 100.000 registrierte Arten gibt, in Deutschland um die 6.000. Die über drei Jahre vorbereitete Ausstellung kommt immerhin auf 1.300 verschiedene Pilz-Präparate, die der Bremer Präparator Klaus Wechsler mit eigens entwickelter Abguss-Technik naturgetreu und detailgenau angefertigt hat. Nach der aufwendigen Kolorierung sind die Exponate von echten Pilzen mit dem Auge nicht mehr zu unterscheiden. Das Spektakel aus Formen und Farben ist über 40 Vitrinen und Dioramen verteilt.
Klaus Wechslers Kunsthandwerk demonstriert uns freilich nur die Fruchtkörper der Pilze, die an sich um ein Vielfaches größer sind – unterirdisch nämlich. Womit wir zu der wenig geläufigen Erkenntnis kommen, dass der Pilz eine eigene Spezies ist und dem Tier viel näher steht als der Pflanze. Wie das? Während Pflanzen ihr Wachstum fotosynthetisch durch die Umwandlung von Sonnenlicht bestreiten und aus Zellulose bestehen, brauchen die chitinhaltigen Pilze feste Nahrung, wie Erdstoffe, Holz oder Blätter, die sie zersetzen. Das größte Lebewesen der Welt ist demnach ein Hallimasch in Oregon, USA mit fast neun Quadratkilometern Umfang.
Besondere Aufmerksamkeit wird mit gutem Grund den Sammlern und Pilzgenießern zuteil: Mit bloßem Auge, sollte jeder wissen, lassen sich die guten von den giftigen nicht wirklich unterscheiden. Wie Zwillinge sehen das Stockschwämmchen und der Gifttäubling aus oder der Wiesenchampignon und der Knollenblätterpilz. Die Konsequenz kann nur lauten: nicht ohne meine Pilzberatung. Aber wir erfahren auch, welche Rolle der Pilz bei der Produktion von Käse, Bier und Wein, in der Medizin (Penicillin) oder bei der Herstellung von Farben spielt. Durch das Mikroskop sehen wir uns Lamellen an, an der Duftstation riecht es nicht aus jedem Glas angenehm, wie Forensiker fühlen wir uns beim Betrachten der Pilzkrankheiten. Aber wir erfahren auch, wie sich schon der Ötzi, die Majas oder die Indianer Pilze zunutze machten, oder welche kuriosen, aber auch treffenden Namen sie vom Unverschämten Rübling bis zum Gebrechlichen Stummelfüßchen tragen.
Im Untergeschoss, wo die Mega-Pilze stehen, begegnen wir Pilzen in verschiedensten Lebenswelten, vom Regenwald über die Streuobstwiese bis hin zur Düne. Und natürlich ist an die Kinder gedacht, für die es Puzzles, Spiele und ein Rätsel gibt, in dem auch der legendäre Knallpilz vorkommt. Gibt es ihn also doch!?

Lorenz Gatt (Foto: Aufbau der Ausstellung, © Museum Wiesbaden)
Bis 5. August: Mi., Fr.–So. 10–17 Uhr; Di., Do. bis 20 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert