Das MAK erzählt 30 Geschichten
»Vom Verbergen«

© Uwe DettmarMordwerkzeuge, Schweinkram und dunkle Ecken

Zweieinhalb Jahre nach dem Amtsantritt von Direktor Matthias Wagner K im Museum Angewandte Kunst sind ungewöhnliche Zugriffe keine Überraschung mehr, sondern eher die Regel. »Vom Verbergen« lautet der schmucklose Titel der neuen Ausstellung und verrät auch durch die Unterzeile »30 Blicke in die Sammlungen« nicht wirklich, was uns da wohl enthüllt wird.
Man kann es sich gar nicht mehr vorstellen, dass es im einstigen Kunsthandwerk-Museum bis 2012 eine über Jahrzehnte kaum veränderte Dauerausstellung gab. In fliegenden und vergleichsweise schnellen Wechseln gibt das MAK inzwischen nicht nur Genres wie der zeitgenössischen Mode, der Kommunikationstechnik, der Fotografie, dem Hobbykochen und selbst einer Art DJ-Partysanismus Raum und Räume. Es gelingt Wagner K dabei durchaus auch, das um die 65.000 Objekte bergende Hausdepot neu zu beleuchten, in das er mit temporären Themen wie »Das Jahr 1607«, »Das Frankfurter Zimmer« oder einfach mit »Die Farbe Weiß« immer wieder neue Schneisen schlägt. Und selbst der Schau der Herzstücke, »Elementarteile«, fehlt jegliche museale Patina, sie lässt eher an Villa Kunterbunt denken. Ganz nebenbei rückt der Paradigmenwechsel zur Verblüffung der Kritiker den Bestand des Hauses auch quantitativ wesentlich stärker ins Licht, als das vorher jemals gelungen war. Dass das Publikum dafür öfter kommen muss als früher, kann ja kein Fehler sein.
Womit wir – endlich – bei »Vom Verbergen« wären. Zumindest einer Variante davon. Der MAK-Direktor hat 30 Museumskollegen der Stadt, des Landes, aber auch des Hauses dazu eingeladen, sich aus seinen Sammlungen etwas auszusuchen, das ihrer ganz persönlichen Vorstellung vom Verbergen entspricht, und dies dann assoziativ und frei zu kuratieren. Mit dem Ergebnis, dass das MAK nun mit den 30 unterschiedlichen Funden aus dem Dunkel des Museumskellers auch 30 Inszenierungen von nicht minder unterschiedlichen Geschichten präsentiert. Das goldene Pillendöschen von Karl Baer aus dem Jahr 1920 bahnt uns den Zugang zu Diskussionen der Hysterieforschung des 19 Jahrhunderts mit einem eigens gefertigten Video, das exemplarische Posen fraulicher Nervenleiden nachstellt. Ein Paravent  aus dem Jahr 1715 weiß von Sehnsucht und Scham, Verlockung und Schutz in den Boudoirs zu künden; während sein seidenes japanisches Pendant uns mit einem angeblichen Skandal um nur verdeckt gezeigte Aktfotografien von  Nobuyoshi Araki aus einer MMK-Ausstellung (»The Lucid Evidence«) im Jahr 2012 konfrontiert. Haben wir wohl verpasst, weil wir die FNP, die das unter »Kunst oder Schweinekram« dokumentierte, so selten zu Gesicht bekommen.
Evelyn Brockhorst von Stadtinstitut stellt sich den imposanten Frankfurter Nasen- und Wellenschrank aus Nussbaum und dem Jahr 1700 als Gerichtsaktenschrank im Römer vor. Darin die Protokolle und Urteile des Prozesses gegen Susanna Margarete Brandt, die 1772 wegen der Tötung ihres unehelichen Kindes an der Hauptwache enthauptet worden ist. Goethe hat diesen umstrittenen Fall um die des Lesens und Schreibens unkundige Dienstmagd verfolgt und sie in der Figur des Gretchens verewigt. Zu diesem lachsbraunen Kawenzmann von Schrank hat Brockhorst aus ihrem Institut nicht nur aus der so genannten Gretchenakte das Beweisstück des Tatwerkzeugs Schere gesellt, sondern auch das handschriftliche Urteil des Frankfurter Rats, sowie aus dem Historischen Museum das originale Richtschwert. Zeitgenössische Kupferstiche des Römers und der Steinernen Brücke und selbstverständlich ein Goethe‘scher Faust machen das enthüllende Ensemble komplett.
Sehr viel persönlicher fällt das aus, was Martin Hegel bei der Sichtung des »Blenders« einfiel. Den um 1830 gebauten Schranktyp betrachtet der MAK-Mann als Refugium in Knabenzeiten, zum Träumen, zum Nachdenken, aber zum heimlichen Lesen. Der Knabe, den man sich hinter der leicht angelehnten Tür denken darf, ist von Hegel übrigens nach Jean-Jacques Rousseaus Erziehungsroman »Emile« benannt. Wer genau hinhört, wird aus dem Inneren Lesepassagen Daniel Defoes »Robinson Crusoe« vernehmen, dem ersten Jugendroman der Weltliteratur. Es ist nichts weniger als die mit der bürgerlichen Welt verknüpfte Entstehung der Kindheit, die dieser Schrank wachruft.

Lorenz Gatt
Bis 6. März 2016: Di.–So. 10–18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr
www.museumangewandtekunst.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert