»Das ist unser Land!« von Lucas Belvaux

Wölfe und Schafe

Wer die schönen, manchmal leicht vertrackten Filme des Lucas Belvaux kennt, mag sich erst einmal wundern, wie geradlinig, lehrstückhaft, rhetorisch er hier zu Werk geht. Aber, so hat er gesagt, diesmal ging es ihm darum, mit einem Film wirklich einzugreifen, in Politik, Wahl und Meinung. Und so hat er den richtigen Film zur rechten Zeit gedreht. Einen Film darüber, wie die populistische Rechte in Frankreich im besonderen und in Europa im allgemeinen eine Form von sozialer Erschöpfung, von Hoffnungslosigkeit und Überdruss für sich zu nutzen versucht, um vom rechten Rand in die Mitte zu gelangen, mit allen Tricks von modernem Image-Marketing, Medienmanipulation – und mit einem gewaltigen Potential von Gewalt im Hintergrund.

Dabei ist der Film beileibe nicht nur polemisch. Der Titel »Das ist unser Land!«, im Original »Chez Nous«, ist durchaus doppeldeutig zu lesen, nämlich im Sinne der Propaganda der Rechten, als rassistisch-nationalistische Drohgebärde, und im Sinne einer Zustandsbeschreibung für eine Region, die sich gerade ihre Schönheit und ihre Heimatlichkeit nehmen lässt. Das fängt an mit einem traumhaften Panoramaschwenk über eine nächtliche Kleinstadt im Norden des Pas-de-Calais – Modell der fiktiven Stadt Hénart ist wohl Henin-Beaumont, wo seit geraumer Zeit der Front National regiert und Marine LePen Mitglied des Regionalrats ist. Mit dem Erwachen der Stadt begleiten wir die Krankenpflegerin Pauline (Émilie Dequenne) in Alltag und Arbeit. Die beginnt mit dem Fund einer Toten, führt über verzweifelte Versuche, den Ex-Mann zu motivieren, sich um die beiden Kinder zu kümmern, bis zurück ins eigene Heim, wo ihr kranker Vater sich störrisch gegen ihre Fürsorge wehrt. Eine junge Frau am Rand des Zusammenbruchs. Oder eine, die genau so hart arbeiten und kämpfen muss wie zahlreiche andere auch. In dieser Phase ist der Film vor allem eine genaue Milieustudie, nicht mit dem Anklage-Pathos der Brüder Dardenne, nicht mit dem Klassen-Stolz von Ken Loach, sondern einfach nahe an seiner Figur. Pauline verkörpert die Tapferkeit und den Überlebenswillen von Menschen, die den Strukturwandel und die soziale Kälte des Neoliberalismus am eigenen Leib erfahren. Aber rings um sie herum sind die Risse und Spannungen immer deutlicher zu spüren; selbst bei einem sonntäglichen Grillfest unter Freunden brechen Rassismus und Aggression hervor.
Drei Begegnungen verändern dann Paulines Leben. Die mit dem Arzt Dr. Berthier (André Dussollier), der sie gewissermaßen als politischer Headhunter dazu auserkoren hat, das »Gesicht«  des Bloc Patriothique in der Region zu werden, der sich hier einen bürgerlich-sozialen Anstrich geben wird und unter dem harmloseren Titel »National-patriotische Vereinigung« firmiert. »Ich bin nicht rechts, und ich bin nicht links, ich bin für Frankreich.« Das ist einer der Sätze, mit denen Dr. Berthier nach und nach Pauline, Tochter eines Kommunisten und nach eigenen Angaben, wenn schon politisch, dann eher links, für seine Bewegung gewinnt, in der sie doch so viel Gutes tun könne. Und da ist zum zweiten die redegewandte Parteichefin Agnès Dorgelle (Catherine Jacob), deren Charisma (samt Appell an weibliche Solidarität) Pauline nicht widerstehen kann. Sie verfällt sehr schnell dem Rausch des Wir, den diese Predigerin gegen alles Unfranzösische zu erzeugen vermag. Zum dritten trifft Pauline ihre alte Jugendliebe wieder, Stéphane (Guillaume Gouix), ehemaliger Marinesoldat, aktiv in neofaschistischen Schlägertrupps, unfähig, die Verbürgerlichung der Bewegung mitzumachen und deswegen Dr. Berthier und seinen Wahlkampfstrategen schon lange Zeit lästig. Lange Zeit ahnt Pauline nicht, dass sie nur als Marionette und mediales Aushängeschild missbraucht wird (inklusive blond gefärbter Haare nach dem Geschmack der Anhänger dieser Bewegung); sie verliert ihren Vater, ihre Freundin, das Vertrauen der Klienten mit migrantischen Familiengeschichten, sie wird Gefangene der Kampagne, und im Hintergrund agieren Stéphanes Truppen zu ihrer »Sicherheit«. Erst als dabei ein Junge beinahe zu Tode kommt, beginnt Pauline zu begreifen und befreit sich aus den Fängen der rechten Bewegung, die, wie wir in wenigen Nebenhandlungen sehen, bis tief in die Familien, bis in die Seelen hinein, ihr Handwerk von Spaltung und Gewalt betreibt. Sie möchte zurück zu Selbstbestimmung, einer Aussicht auf »normales« Glück. Ganz kann das nicht mehr gelingen.
Dass der Film Leute aus dem Front National geärgert hat, kann man sich denken. Obwohl Belvaux  eher an einem Modell dafür interessiert ist, wie Menschen in die Fänge der rechtspopulistischen Bewegungen geraten, und welche Rolle der gewalttätige nationalistische Untergrund dabei spielt, sind doch die direkten Bezüge und Zitate nicht zu übersehen. Wüste Beschimpfungen, Drohungen und Boykott waren die Folge, in manchen Gegenden hatten die Kinobetreiber Angst, den Film ins Programm zu nehmen. Vermutlich ist das ein Zeichen dafür, wie sehr der Film die Mechanismen und Tricks auf der einen, die Anfälligkeit, die fehlenden Alternativen auf der anderen Seite, getroffen hat. Aber: »Das ist kein Anti-FN-Film«, sagt Belvaux, »es ist ein Film über den Populismus, und darüber, wie Menschen in die politischen Kämpfe einbezogen werden. Was mich interessiert, das sind die Wähler und Mitmacher, nicht die politischen Parteien.« Insofern ist „Das ist unser Land!“ auch für das deutsche Publikum ein wichtiger Film im großen Wahljahr. Denn alles das, was der Film zeigt, funktioniert in ganz Europa nach den gleichen Mechanismen und mit den gleichen Maskeraden. Während er den unbotmäßigen Stéphane mit dem Leben bedroht, macht Dr. Berthier klar, dass man sich nur zum Anschein der bürgerliche Mitte anpasst: »Du hättest nur akzeptieren müssen einen Anzug zu tragen, dann wärst du noch bei uns.«
»Das ist unser Land« ist ein mutiger Film, einer, der nicht versucht, die sozialen und politischen Konflikte in die Watte von Komödien oder die Spannung von Krimis zu verpacken, der nicht allein von Schurken und Opfern erzählt, sondern von Menschen, die genau zwischen diese Zustände gelangen, ein Film, der nicht herumredet, sondern die Sache beim Schopf packt, »frontal« eben, wie Belvaux das selber sagt. Da verzeiht man auch das ein wenig Gezimmerte und Konstruierte, das hier und da etwas Plakative, die Vereinfachung. Es ist schön zu wissen, dass es, wenn Demokratie, Gesellschaft und politische Kultur auf der Kippe stehen, ein Kino gibt, das sich da nicht heraushalten will.

Georg Seeßlen (Foto: Alamode Film)
DAS IST UNSER LAND! (Chez nous)
von Lucas Belvaux, F/B 2017, 117 Min.
mit Émilie Dequenne, André Dussollier, Catherine Jacob, Guillaume Gouix, Anne Marivin, Patrick Descamps
Politdrama
Start: 24.08.2017

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