The Cut (Start: 16.10.2014)

The CutVon der Liebe eines Vaters

»The Cut« von Fatih Akin

Als bekannt wurde, dass Fatih Akin einen Film über den Völkermord an den Armeniern gedreht habe, gab es schon die ersten Proteste aus der Türkei. Als der Film nun in Venedig bei den Filmfestspielen gezeigt wurde, vermissten die Kritiker die politische Analyse. Sie waren auf der falsche Fährte, denn »The Cut«, dieses neue Werk von Fatih Akin, ist zuerst und vor allem ein klassischer Abenteuerfilm, wie es ihn heutzutage kaum mehr im Kino zu sehen gibt.

Der Film beginnt im Jahr 1915 mit der Schilderung vom harmonischen Leben einer Familie in Mardin im Nordosten Mesopotamiens: ein liebevoller Vater, der seine Kinder herzt, eine verständnisvolle Mutter, die ihrem Mann sofort verzeiht, wenn er die frisch gewaschene Wäsche mit seinen dreckigen Händen beschmutzt hat. Der Kontrast zu den nun folgenden Grausamkeiten könnte also nicht größer sein.
Die Armenier sehen ihre schlimmsten Ängste bestätigt, als sie im Osmanischen Reich zu Feinden erklärt werden. So wird die sympathische Familie von der türkischen Gendarmerie auseinander gerissen, und unter den Männern, die aus dem Ort geholt werden, befindet sich auch besagter Familienvater, der junge Schmied Nazaret Manoogan, eindrucksvoll von Tahar Rahim dargestellt, der in »Le passé« den Ehemann gespielt hat, dessen Frau im Koma lag.
Die gefangenen Männer werden zum Straßenbau in unwegsames Gelände geschickt und abgeschlachtet, sofern sie nicht zum Islam übergetreten sind. Nazaret kommt mit einem Stich in den Hals davon. Er überlebt, kann aber nicht mehr sprechen und flieht mit Hilfe eben jenes Mannes, der ihn hätte umbringen sollen. Memet (Bartu Küçükçaglayan) hat es nicht über sich gebracht, auf Befehl zu töten, und nur halbherzig zugestochen. Jetzt versucht er gutzumachen, was gutzumachen ist.    
Und für Nazaret, den Überlebenden, gibt es nur ein Ziel: er will seine beiden Töchter wieder finden, die ebenfalls noch am Leben sein sollen. Die Liebe zu seinen Kindern macht Nazaret zu einem Besessenen. Politische Ereignisse brechen wie Naturkatastrophen über ihn und die anderen Figuren herein. Und wie diese, mit großer Wucht, hat Fatih Akin sie inszeniert. Er schont keine Seite. Von denen, die gerade die Macht haben, ist nichts Gutes zu erwarten. Auch von den gerade befreiten Armeniern nicht, die Steine auf die abziehenden Türken werfen, dabei auch Frauen und Kinder treffen.
Der Vater sucht und sucht. Bis nach Kuba und sogar illegal nach Florida gelangt er. Kaum ist er an einem Ort angekommen, wo seine Töchter sein sollen, sind diese wieder weiter gezogen. Bei seiner Suche wechseln Rückschläge und helfende Hände einander ab, wie es sich für ein großes Abenteuerepos gehört. Und dass Akin episch erzählen kann, ist ihm auch beim bösesten Willen nicht abzusprechen.
Akin hat »The Cut« als den letzten Teil seiner Trilogie »Liebe, Tod und Teufel« bezeichnet. Waren die ersten beiden Teile, »Gegen die Wand« und »Auf der anderen Seite«, noch überschaubare Tragödien, so ist »The Cut« unter Mitwirkung des Co-Autors Mardik Martin, des Drehbuchschreibers von Martin Scorsese, ein weit ausholendes, opulentes Drama à la Hollywood geworden. Nicht nur der Armenier Nazaret, sondern auch Fatih Akin ist am Ende in Amerika angekommen.

Claus Wecker
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THE CUT
von Fatih Akin, D/F/Türkei 2014, 138 Min.
mit Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury, Hindi Zahra, Kevork Malikyan, Bartu Küçükçaglayan
Drama
Start: 16.10.2014

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