»Colonia Dignidad« von Florian Gallenberger

Horror-Story

Foltern könne jeder. Es komme aber darauf an, nicht nur Schmerzen zuzufügen, sondern Menschen innerlich zu brechen. Mit diesem gut gemeinten Ratschlag steht der Laienprediger Paul Schäfer einem chilenischen Geheimpolizisten bei, der gerade einen Gefangenen mit Elektroschocks quälte. Die gespenstische Szene stammt aus Florian Gallenbergers neuem Spielfilm, der von der bizarren Allianz zwischen einem deutschen Sektenführer und Anhängern des autoritären Staatschefs Pinochet erzählt.

Die Geschichte der »Colonia Dignidad«, zu Deutsch »Kolonie der Würde«, ist authentisch. Gegründet wurde diese urchristliche Gemeinschaft, die sich zu einem der größten landwirtschaftlichen Betriebe Chiles entwickelte, von deutschen Aussiedlern. Deren Anführer Schäfer stand General Pinochet nahe, dem er nicht nur Waffen und Giftgas verschaffte. Auch bei der Folter politischer Gefangener half er mit.
Aufgerollt wird die unglaubliche Geschichte aus der Sicht einer jungen Lufthansa-Stewardess. Lena, gespielt von der aus »Harry Potter« bekannten Emma Watson, ist verliebt in den deutschen Revoluzzer Daniel (Daniel Brühl), der für die Allende-Anhänger politische Plakate gestaltet. Deshalb verschleppt man ihn nach dem Militärputsch im September 1973 an einen unbekannten Ort. Als Lena das Gerücht hört, dass ihr Freund auf dem Gelände einer religiösen Gemeinschaft gefoltert wird, will sie ihm helfen und tritt der mysteriösen Sekte bei.
Die mörderischen Lebensbedingungen in diesem düsteren Camp, das an einen sowjetischen Gulag erinnert, hat Gallenberger präzise recherchiert. Entsprechend differenziert schildert sein Film den Alltag in diesem hermetisch abgeriegelten Lager, aus dem nur wenige entkamen. Michael Nyqvist glänzt als Paul Schäfer, ein unberechenbarer Psychopath, der sich am Gesang kleiner Jungs ergötzt, mit denen er dann unter die Dusche geht. In einer Schlüsselszene führt der Prediger einen vermeintlichen Exorzismus durch, bei dem er das zarte Gefühl der Verliebtheit einer jungen Frau ›coram publico‹ als dämonische Besessenheit denunziert: Als ob er diesem Mädchen das Herz heraus reißt. Foltern kann  jeder, aber so etwas kann nur Schäfer.
Diese nuancierten Beobachtungen werden eingebettet in den Plot eines packenden Gefängnisfilms. Lena flunkert dem scheinheiligen Prediger vor, sie suche bei ihm religiöse Unterweisung. Daniel mimt unterdessen einen Debilen, dem durch die Elektroschocks der Verstand zerstört wurde. Das ist durchaus spannend inszeniert. Aber über die haarsträubenden politischen Verflechtungen zwischen der seltsamen Strafkolonie, dem Pinochet-Regime und der deutschen Botschaft in Chile hätte man gerne mehr erfahren. Gallenberger erzählt nicht die ganze Geschichte über Paul Schäfer, dessen Camp unter anderem von Franz Josef Strauß besucht wurde. Doch was sein Film ins Licht rückt, geht unter die Haut.

Edgar Schmitt
COLONIA DIGNIDAD – ES GIBT KEIN ZURÜCK
von Florian Gallenberger, D 2015, 110 Min.
mit Emma Watson, Daniel Brühl, Richenda Carey, Vicky Krieps, August Zirner, Martin Wuttke
Drama
Start: 18.02.2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert