Caricatura-Museum zeigt die große Werkschau »Seyfried«

Gerne auch mal ein Bömbchen

Am Imbiss Freakadellen deckt sich die Szene ein, an der Bulletten-Bude nebenan schlemmen die Polizisten. Noch eins: Vorne im Bild steht ein verdutzt blickender Anarcho in Latzhose mit einer Zwille in der Gesäßtasche, im Hintergrund liegt ein Polizeimannschaftswagen auf dem Dach. Zwei Kurzbeschreibungen von Cartoons, die jeder, der auch nur halbwegs wach die Siebziger/Achtziger erlebte, samt ihrem Zeichner sofort identifiziert: Es sind Seyfrieds.
Gäbe es in der Komischen Kunst Fanblöcke, so würden sie Gerhard Seyfrieds Auftritte im Rahmen der seinem Werk gewidmeten Ausstellung im Frankfurter Caricatura-Museum unzweifelhaft mit »Seyfried – Comic-Gott« skandieren. Nahezu 500 Exponate – mitunter Papierschnipsel! – spiegeln das bislang fast 50 Jahre währende Schaffen des Künstlers. Auf der nach eigenem Dafürhalten bisher schönsten Ausstellung über ihn, lässt sich der Kult um Seyfried bis in seine frühesten Wurzeln verfolgen.
Und die gründen, was nicht jedem geläufig, aber klar ist, sobald man ihn hört, im Süden der Republik. Die Ikone der Berliner Alternativszene der 70er stammt aus München, wo er seine ersten Karikaturen 1966 in der Pasinger Schüler-Zeitung »Der Brennpunkt« publiziert und ein wenig später, als Grafiker-Lehrling, ein paar erste Mark verdient: etwa mit einer Beatband-Zeichnung im Sergeant-Pepper-Stil für die Münchener »Jopa-Eis-Kreme«.
Urgeprägt werden die Seyfried-Figuren aber in »Das Blatt«, der 1973 ins Leben gerufenen Mutter aller alternativen Stadtmagazine in Deutschland, drei Jahre vor dem Pflasterstrand. Seyfried hat die leeren Stellen hinter den Artikeln mit seinen Zeichnungen ausgefüllt, was die Ausstellung mit einem geordneten Schnipselkonvolut dokumentiert. Zum Brüllen blöd sind Seyfrieds Sprachbilder vom Feldstecher, den man in die Ackererde stoßen sieht, über den Rasensprenger – kawumm – bis hin zum Brandstifter, wiewohl sich der Humor über das brennende Haus mit der stolz präsentierten Stiftungstafel davor derzeit in Grenzen hält. Auch die typischen Seyfried-Bullen und der 360-Grad kopfbehaarte Sponti-Anarcho, der gerne auch mal ein Bömbchen zu zünden pflegt, sind Münchener, die den Umzug nach Westberlin überstehen. Dort kreiert er unter vielen anderen die Wimmel- und Wuselbilder, ohne die eine WG-Küche in jener Zeit keine WG-Küche ist. Der ins Bild gesetzte Text der Internationale etwa, oder das von der kapitalistischen Vereinnahmung der Szene in den Leuchtreklamen der Cities: »Wir wollen alles – und finden es bei Woolworth«,  lesen wir da. Oder »Völker hört die Signale – mit Telefunken«. Den Schritt hin zum Erzähl-Comic leitet 1978 ein längerer Aufenthalt in Berkeley bei den Schöpfern der Freak-Brothers im »Rip-off«-Verlag ein. In den 90ern wendet er sich mit Ziska Riemann der futuristischen Comic-Story zu und überzeugt als Hobby-Historiker mit dem ersten Roman »Herero«, dem gerade sein viertes Werk »Verdammte Deutsche!« folgt, das am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielt. Seyfried zeichnet ein Buch mit Hanf-Cartoons – noch so eine Neigung – und unterstützt im Wahlkampf seinen Freund Hans-Christian Ströbele, über den hinaus ihn aber mit den Grünen nichts mehr verbinde, versichert er. Ein 50 Jahre langer Bogen deutscher Zeitgeschichte. Zum Schießen.

Lorenz Gatt (Bild: © Gerhard Seyfried)
Bis 24. Januar: Di. – So. 11 – 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr
www.caricatura.de

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