Burgfestspiele Bad Vilbel: »Charleys Tante«

Burgfestspiele Bad Vilbel: Charleys Tante (Foto: Eugen Sommer)Reizwäsche im Kopf, Silber am Schädel

Die Travestie und ihre Beziehung zum Unbewussten: Die Theater- und Kinobegeisterung für schlüpfrige Verwicklungen, denen sich Männer in Röcken aussetzen, kann gar nicht anders zu erklären sein, als mit einem tiefen freudschen Blick auf die Urquellen der Triebe. Genau den aber sparen wir uns mangels Kompetenz, zumal die geschlechterübergreifende Freude daran unterschiedlich motiviert sein mag und das Ganze komplizierte. Hier nur so viel: In Bad Vilbel auf der Wasserburg klatschen besonders die Frauen, wenn die junge Kitty nach einem Schäferstündchen mit der vermeintlichen Tante glückstrunken aus der Liebeslaube wankt und bemerkt, sie habe ja gar nicht gewusst, dass man »dazu« keine Männer brauche. Kittys These wird ganz offensichtlich völlig konträr zum komödialen Kontext verstanden.

Das vielfach verfilmte Lustspiel von Brandon Thomas aus dem Jahr 1893 handelt von den adeligen Schnöseln Jack und Charley, die es auf zwei Mädels aus besseren Kreisen, Kitty und Annie, abgesehen haben. Die Snobs laden die beiden ganz unverfänglich zum Besuch von Charleys stinkreicher brasilianischer Tante Lucia ein – nur sagt diese dann unerwartet erst mal ab. Um das Date zu retten, muss sich ihr Kommilitone Fancourt als Tante verkleiden. Blöd nur, dass zur falschen Zeit am rechten Ort auch Jacks schräger Vater Francis und Kittys tütteliger Onkel Cyran auftauchen und an der falschen Lucia Gefallen finden.

Adelheid Münther hat »Charleys Tante« nach einer Bearbeitung von Arthur Newfield (1993) inszeniert, die – in die Fünfziger versetzt – nun gewitzt eine britische Oberschicht karikiert, die ihre besten Zeiten hinter sich hat, nicht aber ihren elitären Dünkel. Mit einem meist betrunkenen Butler, bei dem der junge Hausherr Schulden hat, und einem Fancourt als aufstiegserpichtem Metzgersohn rücken die sozialen Gegensätze ins Licht. Besonderen Biss gibt das der Satire aber nicht.

Das Stück braucht seine Zeit und vor allem den Auftritt der schrägen Charaktere, um in Fahrt zu kommen. Etwas steif und blutleer wirken die Spötteleien der Blaublütler zu Beginn, etwas bemüht der Butler-Gag. Mit Jacks Vater Francis (Volker Weidlich) aber ändert sich das schlagartig. Der nur noch lückenhaft Schlachten und Bekannte memorierende Kriegsveteran mit einer Silberplatte am Hirn bringt – mit Sonderapplaus – tatsächlich Schmiss in die Bude und haucht dem Ensemblespiel das vermisste Leben ein. In Weidlichs Sog und nach seinem forcierten Geschlechtswandel ins eng sitzende Geblümte kommt auch Till Frühwalds Fancourt auf robuste erotische Touren. Dass er das zarte Geschlecht verträte, ist das Letzte, was man ihm vorwerfen kann. Ein Spaß, wie er mit den Mädels der Kumpels buchstäblich auf Tuchfühlung geht, noch köstlicher, wie er die notgeilen Senioren in die Schranken weist. Wer da im Tohuwabohu wem an die Reizwäsche gerät, wird unter Müthers Regie zu einem wenn auch braven, so doch unverkrampften Ringelpietz für alle Generationen, der jeden Klamauk vermeidet.

Winnie Geipert
Termine:
1., 12., 13., 14. 30., und 31. August 20.15 Uhr (Einführung 19 Uhr)

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