Annegret Helds neuer Dorf-Roman »Apollonia«

Annegret HeldIdylle mit Trauerrand

Die Frankfurter Schriftstellerin Annegret Held stammt, an ihrem krrräftig rrrollenden R gut zu hören, aus dem Westerwald. Einige ihrer Romane, so »Am Aschermittwoch ist alles vorbei« oder »Die Baumfresserin«, zu Recht ihr wohl größter Erfolg, spielen in dieser Gegend. Sie schreibt überhaupt nur über das, was sie kennt. Sie hat deshalb in einem Alters- und Pflegeheim (»Letzte Dinge«) gearbeitet oder am Flughafen, an der Gepäckkontrolle (»Fliegende Koffer«). Ihr neuester Roman, der in diesen Tagen erscheint, heißt, wie ihre Großmutter, »Apollonia«. Er spielt natürlich wieder im Westerwald und handelt von Menschen, die wir normalerweise nicht kennenlernen. Was ein Dorf ist, wie es funktioniert, das können wir hier erfahren.

Die 16 jährige Marie ist, wie sie selber meint, ein echtes Westerwälder Gewächs. Sie liebt ihr Dorf Scholmerbach mit seinen Wiesen, Wäldern, Büschen und Bäumen, aber auch die Kneipen, in denen gesungen, getanzt, gefeiert und vor allem gesoffen wird. Sie liebt es, mit den Freundinnen in die Disco zu gehen oder zu quatschen, wobei das Hauptproblem der Jungfrauen ist, wann, wo und wie »es« endlich geschehen wird. Marie hat einen Freund, Jim, ein Amerikaner aus Minnesota, ihn liebt sie voller Inbrunst, wie alles, was sie denkt, fühlt und macht (darin ihrer Autorin nicht unähnlich). Immer Volldampf.  Mit Jim hatte sie sich bis jetzt nur in den Wiesen von Scholmerbach herumgewälzt, so daß es gar nicht gut aussah »für die Ameisen und die Löwenzahnblätter, für die Mistkäfer und die Kamillen, die wir entwurzelten, und die Erde, die wir aufstießen, und die Zweige, die wir knackten«. An einem Sonntag dann hatten sie endlich »the perfect place« gefunden. In einem riesigen Truck auf amerikanischem Gelände. »Ich vergaß, wo ich herkam und wie ich hieß…, vergaß meinen Verstand und mein Vaterland«, da klopfte es so ohrenbetäubend an die Tür, »daß wir glaubten, die Russen seien da … unsere Innigkeit war gestört, und Jim meinte, so was sei für einen Mann wie zehn kalte Duschen und deutete auf seine Hose. Dead Fish.« Das Buch ist voller aberwitziger Szenen, unnachahmlich die Dialoge in typisch heldscher Manier.

Marie hat sich ein »schönes, blumenbedrucktes Leinenbuch von der Schreibwarenhandlung Kästaler« gekauft, in das sie alles schreiben will, über das Dorf, die Menschen, ihre zahlreiche Verwandtschaft, aber vor allem möchte sie noch so viel wie möglich der alten, kranken Großmutter Apollonia entlocken. Beide wohnen in demselben Haus, aber es ist äußerst mühsam, die alte Frau zum Sprechen zu bringen, denn sie »sagte als erstes immer ›Nein‹, und als zweites, … wir sollten ihr alle den Buckel herunterrutschen«, außerdem sei ihr ganzes Leben »ein einziger Scheißdreck  gewesen« und »es wäre gut, man läge schon auf dem Friedhof», aber »sie möchte auf gar keinen Fall mit Klemens unter demselben Grabstein begraben werden.« Apollonia war schon ein spätes Mädchen, als sie Klemens heiratete. Sie war zwar ganz hübsch, aber auch wählerisch. Erst war ihr keiner gut genug, schließlich mußte sie nehmen, was noch verfügbar war. So ließ sie sich »von seiner schönen Stimme und den schönen weißen Zähnen und von seinem herrlichen Gelächter einfangen«, doch leider erwies er sich dann als »Drückeberger, Faulenzer, Taugenichts, Simpel und Querschädel«, genauso, wie es ihr Vater von Anfang an vorhergesagt hatte. Klemens arbeitete tatsächlich wenig und soff viel, aber er war ein aufrechter Christ mit einer klaren Meinung und manchmal drastischen Reaktionen. Als in den Dreißigern sich die Nazis in Scholmerbach und Umgebung breitmachten, von etlichen Dorfbewohner wohlwollend aufgenommen, denn sie brächten ihnen schließlich Arbeit und Wohlstand, da konnte es schon einmal passieren, daß Klemens einem meinungsstarken Widerling »eine Pfanne mit gebratenen Eiern mitten ins Gesicht« schleuderte.

Schon früh wehte in dem Dorf »eine prächtige Fahne mit einem riesigen, weithin sichtbaren Hakenkreuz« und  »der Erste, der in Scholmerbach in einer Badewanne saß«, war ein Parteigenosse. Auch Kurt, der Kneipenbesitzer, profitierte davon, daß sich die Nazis in seinem Lokal trafen. Er baute Separees, schenkte Wein aus, obwohl die Dörfler bis jetzt nur Schnaps und Bier verlangten und die blankgescheuerten einfachen Tische wurden durch teure ersetzt. Im Garten gab es sogar einen Fuchs im Käfig und einen Papagei. Der konnte fließend »Merci« oder »Pardon« sagen. Das paßte dem Gauleiter Mörser überhaupt nicht. Der Papagei sollte auf keinen Fall die Sprache des Erbfeindes sprechen. Als Mörser verlangte, Kurt solle ihm »Heil Hitler« beibringen, blieb der Vogel stur. In Annegret Helds Buch wimmelt es nur so von urigen Dorfbewohnern und ihren skurrilen Geschichten. Apollonia, ihr Mann und ihr Kind leben in einem winzigen Fachwerkhaus, sie schlafen in einem Bett und müssen 1935 noch zwei »Ruhrpottwitwen« mitsamt deren Sohn aufnehmen, weil die Partei das so anordnet. Da gibt es ständig Streit, und die Witwen geben nie klein bei. Bei der Kartoffelernte halfen die Zimmerleute allen, die Kartoffeln in die Häuser zu bringen, denn sie hatten die Gäule. Dafür gab es Schnaps. Als sich ein Pferd erschreckte, stürzten die betrunkenen Zimmerleute mit ihren Kartoffelsäcken vom Wagen, »niemand wußte, wer gerade wen womit erschlagen hatte«. Im Dorf erzählte man sich später, daß der Student, der einmal Doktor werden wollte, aus dem Bett geholt, statt der Verletzten die Kartoffelsäcke untersuchte und weil sie sich nicht rührten, sie alle für tot erklärte.

Apollonias Ehemann wurde noch 1944 eingezogen. Tatsächlich war er »für den Krieg nicht zu gebrauchen«, aber er wurde »ein großartiger Gefangener«. Annegret Held hat den Dorfbewohnern direkt aufs Maul geschaut, ihre Dialoge, immer im Dialekt geschrieben, zeigen die Leidenschaft, mit der sie schreibt. Ihre Figuren sind deftig, aber sie sind auch authentisch. Ihr sind die Menschen nahe, und das Milieu, in dem sie leben. Das spürt man beim Lesen in jeder Zeile. Und wenn es mit dem Steigern »des Wohlgefühls auf diesem Erdball«, wie sie so schön in ihrem letzten Buch schrieb, nicht ganz klappt, so verträgt man sich doch wenigstens im Himmel. Ein versöhnliches Ende ist (ihr) immer wichtig. So schließt diese Beschreibung ihres Dorfes mit der Feststellung: »dann war ja alles gut«. Und da ist was dran.

Sigrid Lüdke-Haertel
Annegret Held: Apollonia.
Roman.
Eichborn Verlag, Köln 2012,
380 S., 19,99 €

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