Buchkritik

Bernd Schroeder: Auf Amerika

Ein entspannter Blick zurück – nicht ohne Zorn

Bernd Schroeders neuer Roman »Auf Amerika«

 

Lange Zeit galt er als der Ehemann einer berühmten Frau, Elke Heidenreich. Manches haben sie auch zusammen gemacht, zuletzt noch die Erzählungen »Rudernde Hunde« und die Ehe-Bilanz »Alte Liebe«. Doch längst schon hat sich Bernd Schroeder von seiner Ex-Frau frei geschrieben und eigene Erfolge eingeheimst. Spätestens seit der »Madonnina« (2001) gilt auch sein Name etwas. Schroeder erzählt gerne von seiner Kindheit und Jugend in Oberbayern. Und da gibt es auch was zu erzählen. Jetzt wieder.

Er ist klein, sein Kopf kugelrund, er hat riesige abstehende Ohren. Aber er hat keine Familie, besitzt nichts und ist Knecht beim Gastwirt des Dreihundertfünfundsechzig-Seelen-Dorfs Hausen in Oberbayern. Niemand weiß, woher er kommt, und Veit selbst behauptet, „das ist so lange her, das hab ich schon vergessen“. Doch für den Seilerbub, den Ich-Erzähler und das ›alter ego‹ von Bernd Schroeder ist er der Größte. Er bewundert ihn, denn »er tut alles ruhig, ohne Eile«, ob er Sensen dengelt oder Schweine schlachtet. Er ist das Gegenteil vom Vater, »der immer rennt und hetzt«. Der Vater ist ein Aufschneider, ein Großmaul mit einigen Spurenresten von Bildung und Wissen. Einer, der gerne Sprüche kloppt. Er kam als Flüchtling mit Frau und Kleinkind aus Berlin und ist in Hausen hängengeblieben. Hier versucht er sich und seine Sippe mit Gelegenheitsjobs einigermaßen über Wasser zu halten. Die Mutter stammt aus einer wohlhabenden Berliner Familie, kann Klavier spielen und singen, wird aber in Hausen niemals heimisch. Sie ist »lebensuntüchtig, depressiv« und hat, wie ihr Mann behauptet, »nur Nebel im Kopf«. Der Seiler ist dennoch bei Pfarrer und Lehrer angesehen, denn sie sitzen gern im Wirtshaus, saufen und diskutieren. Dem einbeinigen Lehrer, einem ehemaligen Nazi, verbietet er sogar, seinen Sohn zu schlagen. Der Lehrer hält sich allerdings nicht immer daran. Gelegentlich prügelt er, sogar »gerne«, auf dem »Rücken des Kommunistenkindes seine Wut über die Welt heraus«. Dennoch findet der Seilerbub, daß er ein glückliches Kind gewesen sei. »Meine Wiege stand unter dem mächtigen Zwiebelapfelbaum, in dessen Blätterwerk ich viele Bildergeschichten lesen konnte, und die Hühner schissen auf mich (…) Mein Spielzimmer war die Natur, die Höfe, die Handwerksbetriebe, die Felder und Wiesen, das Moos und der Wald.«

Ausgerechnet der stille Veit sorgt eines Tages für große Aufregung: er erhält einen Brief von einem Notar. Die Postlerin übergibt ihm, brennend vor Neugier, das Dokument. Veit nimmt den Brief, steckt ihn ein und – schweigt. Bald darauf ist er verschwunden. »Auf Amerika« – wollen die Gerüchte wissen. Nach einer Woche kommt er zurück, lebt danach weiter, als wäre nichts gewesen. Aber die Gerüchte wollen nicht verstummen: sicher habe er eine Erbschaft und deshalb eine Reise »auf Amerika« gemacht, wie man in Hausen sagt.

Bernd Schroeder ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Liebevoll, voller Witz, anrührend, aber nicht pathetisch, eher lakonisch beschreibt er die knorrig urigen Typen seiner Kindheit. Als der Erzähler als 50-Jähriger in sein Heimatdorf kommt, erkennt er es nicht wieder. Es gibt keinen Metzger, keinen Schreiner, keinen Schuster mehr, nicht einmal eine Wirtschaft. Nur noch drei Bauern. Dafür riesige Lagerhallen. Die Spuren zurück in seine Kindheit und Jugend verfolgt Schroeder mit einiger Wehmut und Melancholie. Natürlich weiß auch er, daß sich der Lauf der Dinge nicht aufhalten läßt. Was einmal war, hat sich überlebt. Trotzdem will er nicht klaglos hinnehmen, dass viele der Dorfbewohner keineswegs freiwillig gegangen sind, sondern daß sie vertrieben wurden. Sein Hausen ist dem Münchner Großflughafen geopfert worden. Ständig donnern die Flugzeuge im Tiefflug über die verlassenen und verfallenen Häuser hinweg und über die wenigen verbliebenen Menschen. Das Schöne daran: Schroeder, der Autor und sein Erzähler, die können so richtig wütend werden. Sein Seilerbub nimmt kein Blatt vor den Mund und zieht mit oberbayerischer Inbrunst über die Politiker her, die diese Zerstörung durch ihre Gier, ihre Ignoranz und ihre Unfähigkeit beschleunigt haben. So endet das schöne Buch mit einer heftigen Kanonade.

Wir sollten es als Salut nehmen und dankbar das Buch begrüßen

Sigrid Lüdke-Haertel

 

Bernd Schroeder: Auf Amerika. Roman.
Hanser Verlag, München 2012, 176 S., 17,90 €

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