Blasenschwäche (94)

Das Blasen werden im Internet, allen voran facebook, jene Ansammlungen von Benutzern genannt, die sich mit ihren Veröffentlichungen, Meinungen und Schmähungen nur immer selbst bestätigen und damit eine eigene Form von Wahrheit schaffen. Und nun ist das Jammern groß: da werden doch tatsächlich Falschmeldungen in die Welt gesetzt. Böse Buben und ebenso böse Mädels schreiben böse Geschichten über gute Menschen. Kurz, sie lügen sich irgendwas zusammen, um jemand anderen schlecht zu machen, zu verleumden. Eigentlich gab es das ja schon immer, erst von Mund zu Ohr zu Mund, später in Stein und Felswände geritzt, dann per Papyrus und Hieroglyphen. Das war schon sehr mühsam, Falschmeldungen unters Volk zu bringen. Auch kunstvoll Handgeschriebenes auf Pergament und Papier litt unter geringer Reichweite und Streuwirkung. Na ja, mal von der Bibel abgesehen, aber die bestand nun auch nicht nur aus Fakenews. Die große Zeit, Meldungen und damit auch Falschmeldungen weit zu verbreiten begann dann mit dem Buch- und Zeitungsdruck. Und so richtig ging es dann ja mit den elektronischen Medien Rundfunk und Fernsehen los.

Was also ist das Besondere an der aufbrandenden Fakenews-Debatte im Internet? Eigentlich hat sich ja nur das Medium verändert – die Menschen mit ihrem Wunsch, anderen nicht nur Gutes zu tun, aber eben nicht. Nur dass nicht mehr nur erzählt, gemeißelt, geschrieben, gedruckt oder gesendet wird. Nun wird »gepostet«. Und das könnte uns eigentlich egal sein, denn wenn jemand irgendwo etwas auf irgendeiner Webseite schreibt, krieg ich es ja eigentlich nur mit, wenn ich auf diese Seite gehen. Wer den ganzen Tag Russia Today oder Fox News anschaut, hat eine ganze Welt von Lügen, Verleumdungen, Falschmeldungen um sich, in der sich eine eigene Wahrheit dieser Welt herausbildet. Der Unterschied zum Internet ist, dass ich jetzt keinen großen Apparat und materielle Ressourcen mehr brauche, um irgendwelche Gerüchte in die Welt hinauszuposaunen. Aber zugleich gehen diese Posaunen doch im großen Meer der millionenfachen Webseiten unter und mit ihnen die Falschmeldungen und Lügen.

Dass das nicht passiert, haben wir der genialen Idee der weltumspannenden Plattform facebook zu verdanken. Was als simples Kennenlern- und Kommunikationsmedium begann, hat es erreicht, ein riesiges Beziehungsgeflecht zu schaffen, in dem sich Persönliches, Kommerzielles, Verleumderisches, Rassistisches, Informatives, Nützliches scheinbar gleichberechtigt vermischt. In der großen Familie facebook mit all ihren Likes, Freundschaften, Fanpages ist Raum für alle. Und wer sich da hinein begibt, soll sich doch nicht beklagen, dass sich dort nicht nur die Lieben und Guten aufhalten. Nein, wer dort per Fanpage und Likes, und wie das immer heißen mag, mitmacht, legitimiert zugleich die Verleumder, Rassisten, Neonazis, die sich auch dort tummeln. Der nun laute Ruf nach Kontrolle oder gar Gesetzen ist so naiv wie unwirksam. Per Computeralgorithmus Wahres von Falschem, Gutes von Schlechtem unterscheiden zu wollen, stülpt uns das binäre Ja-nein-Schema über, das dann aber beispielsweise nicht zwischen Falschmeldung und Satire unterscheiden kann. Und der Versuch von facebook, per Meldewesen ein Fakenews-Ranking zu schaffen, grenzt schon an Lächerlichkeit: bis das greift, ist eine Falschmeldung schon lange in der Welt. Und ein Gesetz aus Deutschland lässt Herrn Zuckerberg nur müde lächeln. Die einzige Möglichkeit ist: sich an dem Laden nicht zu beteiligen. Es gibt keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund, dass ich beim Besuch der Seite von Strandgut unser Magazin auch noch für facebook like (ganze 949 likes übrigens zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen – wie peinlich ist das denn). Aber das fakebook erhält damit die Legitimation als seriöses Medium. Das ist es aber nicht.

Jochen Vielhauer

PS.: Ach ja, die Überschrift bezieht sich auf die Blasenbildung in Facebook, wo sich Gleichgesinnte immer wieder selbst bestätigen.

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