Barock am Main feiert mit »Der Herr von Wutzebach« Abschied vom Bolongaro-Garten

Falsche Freunde, falsche Gefühle, falsche Polizisten

Tränen des Lachens und Tränen der Wehmut: Die Vorstellungen des Barock-am-Main-Festivals in Frankfurt-Höchst schlagen ihren Besuchern in diesem Jahr unweigerlich auf das Gemüt. Nach seiner nun elften Ausgabe muss das dem großen Molière verpflichtete hessische Mundart-Theater für unbestimmte Zeit seine idyllische Spielstätte im historischen Traumambiente des Bolongaro-Gartens verlassen. Das schon vorweg: Überzeugender als mit der mitreißenden Aufführung der Komödie »Der Herr von Wutzebach« (original »Monsieur de Pourceaugnac«) kann man den Stadtvorderen kaum empfehlen, zügigst die nun angestrebte Renovierung des  Bolongaro-Palastes voranzubringen. Mit städtischen Versprechen haben Michael Quast und die Fliegende Volksbühne freilich ihre Erfahrung.
Nun aber zum Stück, das durchaus auch subtile politische Konnotationen durchschimmern lässt, geht es darin doch darum, wer dazu gehört zur Gesellschaft – und wer ›ewe net‹. Von Sarah Gross inszeniert, bringt der neue Molière die Willkommenskultur auf ihren Frankfurter Punkt. Sein Titelheld ist zwar kurz hinter Friedberg – in Scheppstadt – zuhause, doch ist das weit genug weg, um dem Städter im Allgemeinen als Bauer und dem Frankfurter im Besonderen als ›auswärdisch‹ aufzustoßen. Als einer, den es zurechtzustutzen, aber auch zu rupfen gilt. Der Wetterauer Provinzbonze nennt schließlich nicht nur einen Hof und viel Land sein eigen, sondern auch 4.000 glänzende Taler.
In der Kneipe wartet der durstige Mann grad mal, seinem lautstark ausgestellten Wohlstand zum Trotz, vergeblich auf den Schoppen. Schwieriger aber wird es für ihn, ein Frankfurter Mädchen aus gutem Hause, Amalie Fischbein, in den dörflichen Ehestand zu führen – und so das Frankfurter Bürgerrecht zu erwerben. ›Worschtefinger‹ an Pfirsichhaut, das geht ja gar nicht. Dieter, Amalies Geliebter, spannt die Frankfurter Halbwelt ein, dem Landei die Stadt gründlich zu vergällen. Falsche Ärzte mit falschen Diagnosen, falsche Freunde und falsche Polizisten spielen Herrn von Wutzebach übel mit. Dumm nur, dass sich der Scheppstädter mit dem Geld witternden Schwiegervater in spe trotzdem einig zu werden scheint – bis er von falschen Verflossenen mit einem untergeschobenen Sohn auch noch der Bigamie und des Heiratsschwindels bezichtigt und ihm von falschen Juristen mit dem Galgen gedroht wird. Wutzebach nimmt reißaus – und Dieter sich Amalie.
Rainer Dachselt hat Molière in Mundart und Duktus recht frei dem hessischen ›Sawa-Wiefre‹ angepasst und dabei wirkungsvoll Dialekte des Umlands, wie das brillant rollenden ›R‹ der Wetterau integriert. Anders als sonst, gleichwohl ideal, fällt die in jeder Hinsicht gewichtige Hauptrolle dem wunderbar leidenden Matthias Scheuring zu, während sich der spielwütige Prinzipal als halbseidener italienischer Ganove Knippelino in ständig wechselnden Rollen austobt. Trotz der Dominanz der beiden Protagonisten weist das von einer starken Ensemble-Leistung getragene Stück keine wirklichen Nebenrollen aus.  Philipp Hunscha zeigt sich als Brautvater nicht ganz so wortkarg wie sonst, dafür aber genialisch schwer von Begriff. Als durchtriebene Amalie gibt Marlene-Sophie Hagen ihr hessisches Debüt, Pascal Thomas blasierter Dieter übertrifft alles, was es von ihm bisher hier zu sehen gab. Als Kumpane des Intrigenmaestros sorgen Alexander J. Beck, Ulrike Kinbach und Katerina Zemankova für wohldosierten Klamauk und nicht abreißende Lacher. Dick aufgetragen sind wie immer die Schminke und üppigen Kostüme (Katja Reich, Anna-Sophie Biersch). Dem Original folgend gibt es unter Leitung von Rhodri Britton Live-Musik von Sully, sowie Gesang und Tanz des Ensembles.
Kein Wunder, dass es nur noch Restkarten gibt. Ein Trost mag da die Wiederaufnahme zu Weihnachten im  Gesellschaftshaus des Palmengartens sein. Im Hinblick auf den Bolongaro-Garten allerdings nur ein schwacher.

Winnie Geipert (Foto: © Maik Reuss)
Termine: 2.–8. August, 20 Uhr; zusätzlich 8. August, 16 Uhr
www.barock-am-main.com

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