Ausgerechnet Sibirien (Start: 10.05.2012)

Ausgerechnet SibirienSehnsucht nach
dem wilden Osten

»Ausgerechnet Sibirien«
von Ralf Huettner

Viel trister als daheim im leeren Reihenhaus in Leverkusen kann es in Kemerovo, irgendwo in Südsibirien, auch nicht werden. Sein Seniorchef beauftragt ihn, die dortige Firmenzweigstelle auf Vordermann zu bringen. Außerdem soll Bleuel die Leiterin der Niederlassung, eine gewisse Galina, ganz herzlich grüßen, meint der Chef mit etwas lüsternem Grinsen. 

Und als der vertrocknete Bleuel nach einem abenteuerlichen Flug von der lauten, fröhlichen Galina mit wogendem Dekollete begrüßt wird, scheint der weitere Handlungsverlauf besiegelt. Schon hat Galinas Team in ihrem mit der Leverkusener Polyester-Mode vollgestopften Lädchen den Wodka bereitgestellt. Doch zum großen Befremden der Verkäuferinnen trinkt der Deutsche nicht! Noch nicht. Von Tomaten, dem zweiten Grundnahrungsmittel der Gegend, kriegt er gar Ausschlag. Wie erwartet trifft also teutonische Nüchternheit auf russisches ›carpe diem‹ und ein hypochondrischer Tüpfelschisser auf kreative Buchhaltung.
Doch der Culture Clash wird übersprungen. Denn Bleuel hört auf dem Markt von Kemerovo einen zauberischen Obertongesang, der ihn magisch in den Bann zieht. Die schöne Sängerin Sanjana gehört zum indigenen Volk der Schoren und ist eigentlich Schamanin. Bleuel ist hin – und weg …
In dieser romantischen Selbstfindungskomödie wird die Sehnsucht nach dem Wilden Westen und den Indianern vom Drang in die andere Richtung abgelöst. Tatsächlich liefert der Wilde Osten seit einigen Jahren Filmstoff. Nach den halbdokumentarischen Dramen über Nomaden wurde vor kurzem mit dem Raumfahrtbahnhof Baikonur in dem gleichnamigen Film eine weitere Merkwürdigkeit der Steppe beleuchtet. Auch bei Kemerovo fällt Weltraumschrott vom Himmel, und auch an anderen Klischees herrscht kein Mangel. Doch Ralf Huettner (»Vincent will meer«) hat in seiner Verfilmung des Romans »Der Neuling« von Michael Ebmeyer einen Hauptdarsteller gefunden, dem man diese Aussteigernummer abkauft. Im Grunde knüpft Joachim Król, zurzeit auch »Tatort«-Kommissar, an seinen ersten Kinoerfolg »Zugvögel« an, in dem er sich einst als Kenner von Eisenbahnkursbüchern in die Ferne träumte.
Auch der blasse Bleuel ist in Gedanken schon längst auf der Flucht vor seinem zombiehaften Leverkusener Dasein. In jeder freien Minute lauscht er einem Hörbuch mit mystischen Geschichten. Sollte Sanjana seine Bestimmung sein? Der zurückhaltenden Inszenierung gelingt es ganz gut, Edle-Wilde-Kitsch zu umfahren. So sieht man gerne dabei zu, wie Bleuel auf seiner staubigen Odyssee auf der Suche nach Sanjana seine Angst abhanden kommt und er sich allmählich einem magischen Weltbild hingibt. Schließlich ist es nie verkehrt, dorthin zu gehen, wo Tomaten wachsen.

Gabriele Zimmermann
AUSGERECHNET SIBIRIEN
von Ralf Huettner, D/RUS 2012, 100 Min.
mit Joachim Król, Vladimir Burlakov, Yulia Men, Armin Rohde, Katja Riemann
Start: 10.05.2012
Komödie

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