Ausblick Schauspiel: Kriegenburg inszeniert »Der Sturm«

Shakespeare radikal

Es gibt eigentlich nur zwei. Zum einen ist es Michael Thalheimer mit seinen Klassikern. Und zum andern Andreas Kriegenburg, der für das Schauspiel Frankfurt der Ära Reese so was wie eine sichere Bank für ausverkaufte Vorstellungen ist. Der in Magdeburg geborene Regisseur verfügt über die Gabe, sein Publikum mit überraschenden, aber auch langlebigen poetischen Bildern zu verzücken. Zuletzt ist ihm das in Frankfurt ganz grandios mit Anton Tschechows »Die Möwe« im großen Haus gelungen. Und Ödön von Horvaths »Glaube, Liebe, Hoffnung«. Aber auch der Kammerspiel-Dauerbrenner »Stella« (Johann Wolfgang Goethe) gehört zu den Arbeiten, die ein Zuschauer vielleicht nie vergisst. Wozu beiträgt, dass der gelernte Schreiner immer auch für das Bühnenbild sorgt.
Mit William Shakespeares Spätwerk »Der Sturm« hat Kriegenburg jetzt ein Sujet gewählt, das von seinem Autor mit Traumbildern und Phantasiewelten nachgerade überfrachtet wurde.  Ort der Handlung ist eine Insel irgendwo zwischen Afrika und Europa, auf der Prospero, der entmachtete Herzog von Mailand, mit seinem Töchterchen Miranda gestrandet ist und, sich hauptsächlich der Zauberei widmend, mit dem Luftgeist Ariel und dem Monster Caliban lebt, eine ausgesetzte jeder Kultur spottenden Missgeburt einer Hexe Syntorax.
Shakespeare beschreibe eine paradiesische, eine rauschhafte Insel voller Töne und Klänge, deren Zauber und Magie Prospero nicht wirklich erfassen könne, beschreibt Kriegenburg die Herausforderung, vor der er seine Inszenierung sieht. »Wie setzt man einen Luftgeist in Szene, wenn man ihn nicht an einem Seil hochziehen will?«. Der Mailänder Herzog sei mit einer ihm unverständlichen Welt konfrontiert, die er trotz all seines Wissens nicht fassen könne. Mit der rabiaten Versklavung Calibans, des einzigen Eingeborenen, wie seiner Befehlsgewalt über Ariel reagiere der Repräsentant der Zivilisation nicht sehr viel anders wie die den Idealen des Humanismus verpflichtete alte Tante Europa auf die Flüchtlingsfrage. Prospero sei ein Mann, der als feinfühliger Vater Schuldbewusstsein dafür empfinde, dass er Miranda ohne jede soziale Erfahrung aufwachsen lassen muss. Der aber zugleich auf gnadenlose Rache an denen sinne, die ihm die Macht und die Heimat entrissen. Prospero sei »ein von innerem Widerstreit und Konflikten tief gespaltener Mann« – der gute Mensch von Jean-Jacques Rousseau und der wölfische Mensch von Thomas Hobbes in einem.   
Der Regisseur hat sich vorgenommen, dem wundersamen Verlauf dieser Rache, die »Der Sturm« erzählt, »radikal« nachzugehen. Und das heiße für ihn, so nahe wie möglich an Shakespeare, beziehungsweise der ihn begeisternden neuen Übersetzung des großen deutschen Theatermannes Franz-Patrick Steckel, für die es eine Uraufführung werde. Radikal meint für Kriegenburg deshalb vor allem, auf jede sich noch so sehr anbietende Aktualisierung des Textes zu verzichten. »Der Sturm« sei heute so aktuell wie gestern und morgen, pocht er auf die Zeitlosigkeit des Stücks. Dass er selbst in einer sehr frühen Arbeit die Rolle des Caliban weiblich besetzt habe, sei wohl seiner damals doch oberflächlichen  Lektüre geschuldet gewesen.
Mit Felix von Manteuffel hat Kriegenburg die Figur des Prospero überraschend betagt und mit einem Gast besetzt, der nicht mehr zum Ensemble gehört. Manteuffel sei ein Darsteller, der das Bild der Würde und Weisheit, wie des auf Erfahrung ruhenden inneren Widerstreits glaubhaft verkörpern könne. Ohnehin geht Kriegenburg die Vorlage mit einem Aufgebot von zehn starken Schauspielern an. Michael Benthin gibt den Caliban, Franziska Junge Ariel, die wunderschöne Rolle der den Menschen idealisierenden Miranda geht an Katharina Bach, und für Shakespeares integrierte Humoreinlage werden Christoph Pütthoff und Sascha Nathan als Trinculo und Stephano sorgen.

Winnie Geipert (Foto: Spielt den Prospero. Felix von Manteuffel. © Maxime Ballestrero)
Termine: 15., 18., 21., 22., 29. April, 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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