Ausblick Schauspiel Frankfurt: »Eine Familie« ist Oliver Reeses Abschiedsregie

Donald Trump lässt grüßen

Mit einem Beckett-Endspiel zum Finale dürfe man bei ihm nicht rechnen, kündigte Intendant Oliver Reese im Frühsommer einen eher unpathetischen persönlichen Abschied für seine finale Spielzeit am Schauspiel Frankfurt an. Seine (vorerst) letzte eigene Regie am Main umflort dennoch etwas Sentimentales. Tracy Letts Drama »Eine Familie« würdigt im Titel und in der Besetzung auch das erfolgreiche gemeinsame Schaffen mit vielen Schauspielern über fast eine Dekade an den Städtischen Bühnen. Neun der dreizehn Darsteller des Stücks sind 2009 mit Reese nach Frankfurt gekommen – und damit länger da, als viele Ehen halten. Fünf davon (mindestens) werden ihn weiter begleiten. Wenn das keine Familie ist! Es sei tatsächlich so, dass er darauf achten müsse, dass es nicht zu verständig und rücksichtsvoll zugehe, berichtet Reese von den Proben des großen Leichenschmauses, eine der zentralen Szenen dieses Südstaaten-Epos.
Tracy Letts erzählt den vom Suizid des Familienoberhauptes eingeleiteten Zusammenbruch des Weston-Clans im unwirtlichen Off des Hinterlandes von Oklahoma. Im großen Haus der krebskranken, tablettensüchtigen Mutter Violet finden sich die Hinterbliebenen samt Anhang zu einem Gedenken ein, das zur Abrechnung mit einer Vergangenheit wird, die sich immer verlogener erweist, je länger das Treffen dauert. »Es ist ein verdammt guter Tag für Wahrheiten«, heißt es einmal in dieser grandiosen Worteschlacht, die nur Verlierer kennt: die Mutter Violet, ihre Töchter Barbara, Ivy und Karen sowie ihre Schwester Mattie Fae nebst Kindern und Männern. Nicht zufällig werden Tschechows »Drei Schwestern« gerne mit dem Stück verglichen, das Oliver Reese sich gut als Pilotsendung einer Serie vorstellen könnte. Wie es für jede dieser spannenden Figuren und Paare wohl weitergehe im Leben, das bleibe nach dem Show-down offen.
 Die häufig gespielte Tragikomödie (zuletzt in Wiesbaden, s. Strandgut 2/2015), die auch auf der Leinwand (»Im August in Osage County«) mit der Oscar-nominierten Meryl Streep in der Hauptrolle Furore machte, steht in Frankfurt freilich völlig ungeplant auch in neuem Licht. Als desillusionierender amerikanischer Anti-Traum vermittelt sie – die Premiere ist kurz vor dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten – viel von der Atmosphäre jenes US-Amerikas, dem wir Trump zu verdanken haben. Oliver Reese will diese Stimmung mit Musik einfangen und zugleich auflockern. Der Komponist Jörg Gollasch, der schon für die »Zwei Koreas« die Songs geschrieben hat, werde für die Familie in Richtung Dixie Chicks kreativ. »Not ready to make nice« statt »I did it my way«.
Doch nicht nur die Musik und die von den Schauspielern präsentierten Songs werden Reeses Inszenierung von den bisherigen Familien-Aufstellungen in Deutschland unterscheiden. Das Publikum deckt das auf weitgehend nackter Bühne abrollende Geschehen sandwichmäßig von zwei Seiten ein, um es aber aus je eigener Perspektive zu verfolgen. Dabei kann eigentlich niemandem entgehen, wie brillant das Frankfurter Ensemble auch altersspezifisch dem recht anspruchsvollen Besetzungsvorgaben des Autors zu folgen vermag. Corinna Kirchhoff als Violet Weston und Josefin Platt als deren Schwester Mattie Fae geben die wortgewaltigen Nestorinnen, Wolfgang Michael und Martin Rentzsch ihre Gatten. Auch wenn Michaels Rollendasein als Beverly durch den frühen Suizid limitiert sein wird, sollte es durch sein Debüt als Sänger (!), den wir zwischen Leonard Cohen und Mark Lanegan vermuten, eine enorme Aufwertung erfahren. Constanze Becker (Barbara), Verena Bukal (Ivy) und Franziska Junge (Karen) geben die Weston-Schwestern, auch auf Sascha Nathan als gehemmten Little Charlie darf man gespannt sein. Carina Zischner, Oliver Kraushaar, Till Weinheimer und Isaak Dentler komplettieren diesen Frankfurter Schau(spieler)lauf.
Nur die symbolträchtige Rolle der indianischen Pflegerin Johnna durch Katrin Hauptmann vom Düsseldorfer Schauspiel ist gastbesetzt für dieses »Meisterwerk« aus der in Deutschland fatalerweise vernachlässigten Königsklasse der Theaterautoren, wie Reese findet. 

Winnie Geipert (Foto: Oliver Reese, © Birgit Hupfeld)
Termine: 13., 14., 19., 20. Januar, jeweils 19-.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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