Ausblick Gallus: E9N inszeniert »Warum das Kind in der Polenta kocht« neu

Zwischen Träumen und Traumata

Vom Schicksal eines rumänischen Zirkuskindes handelt der 1999 erschienene autobiografische Kurzroman Aglaja Veteranyis. Geschrieben aus der nur scheinbar verklärenden Perspektive eines Mädchens wird die Geschichte der Flucht einer vierköpfigen Artistenfamilie aus Vater, Mutter und zwei Schwestern vor der Tyrannei im Ceausescu-Rumänien in eine nomadische Randexistenz erzählt. Dabei gehen Träume und Traumata Hand in Hand: ein wildes, buntes Leben zwischen Zirkus und Wohnwagen, aber auch der Angst und der häuslichen Gewalt.
Die mit 15 Jahren als Analphabetin in einem Züricher Heim gelandete Autorin findet eine ganz eigene bildmächtige Sprache für ihre so naiven wie erfahrungsträchtigen Blicke auf Menschen und Länder, auf das tägliche Bändigen der Angst um die Mutter, die nur an ihr Haar gebunden in der Zirkuskuppel schwebt, auf die Tyrannei eines Vaters, der die Schwester missbraucht. Und wird mit dem Erscheinen von »Warum das Kind in der Polenta kocht« im Jahr 1999 schlagartig berühmt.
Für Helen Körte vom Ensemble 9. November muss sich Veteranyis Roman wie ein Geschenk gelesen haben, stimmt doch die wie von allen Sinnen getragene Weltwahrnehmung der jungen Ich-Erzählerin mit ihrem eigenen Kunstverständnis überein. Vor zwölf Jahren hat Körte den Stoff inszeniert. Diese Arbeit gehört zu den erfolgreichsten der Theatergruppe, die auch nach Sibiu in Rumänien eingeladen wurde.  Mit drei Darstellern, mit der live gespielten Musik des Komponisten Martin Le Jeune und drei weiteren Musikern, einem Film und den in Wolfgang Fiebigs Kunstwerkstatt entstandenen Phantasiebühnenwelten setzt Körte bilderreich die Stationen des namenlosen Zirkuskinds in Szene. »Es entstehen Bilder, die gleichzeitig kindlich und poetisch sind«, schwärmte damals die FAZ .
Es sind nicht zuletzt die bewegenden Berichte dieser Tage und Jahre von den Fluchtbewegungen an den Grenzen Europas und ihr Wunsch, den meist vernachlässigten Blick auf die Menschen selbst zu legen, die sich da ein neues Schicksal erhoffen, die Helen Körte zur erneuten Wiederaufnahme von »Warum das Kind in der Polenta kocht« bewogen haben. Die ungebrochen Wirkmacht von Aglaya Veteranyis‘ Roman wird nicht nur durch den neuen Titelzusatz »Spricht Gott fremde Sprachen?« untermauert, der die kleine Heldin zitiert. Neu werden auch die mehrsprachige Präsentation der spielerischen Choreografien von fünf Kindern aus unterschiedlichen Ländern in deren jeweiliger Sprache und die Tanzfiguren von Damaso Mendez sein. Wie schon vor zwölf Jahren machen Raiija Siikjavirta, Hanna Linde und Katrin Schyns – von vier Musikern auf 14 Instrumenten begleitet – das in jedem Sinne spektakuläre Spiel.

gt (Foto: © Sabine Lippert)
Termine: 3.–5. und 17.–19. November, jeweils 20 Uhr; 6. November, 18 Uhr
www.e9n.de

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