App, App and away (83)

Ich gebe es ja zu, ich habe was messihaftes an mir. Nein, nicht etwa das Talent jenes begnadeten Ballschiebers, sondern das Talent, alles aufheben und nix wegwerfen zu können. Das kann Jeder und Jede (resp. JedeR resp. Jede*r und alle sonstigen künftigen Formen der sprachquälerischen Genderneutralität) bestätigen, der-die-das schon mal einen Blick in meine Rumpelkammer geworfen hat. Da findet sich dann nach gar nicht so langem Suchen ein oder sogar mehrere Centronics-Kabel. Die älteren unter den Lesenden (ha, es ist gelungen) werden sich noch erinnern: das waren Kabel, mit denen man Drucker an einen Computer anschliessen konnte. Die Drucker gibt es eigentlich nicht mehr, aber die Kabel liegen immer noch rum. Wer weiß, wozu die mal gut sein könnten. Habe ich damals, wo ich eins brauchte, im Zehnerpack gekauft, waren pro Stück extrem viel billiger als das Einzelstück. Nur auf die Jetztzeit hochgerechnet, wo neun der zehn Kabel nie gebraucht wurden, ein blödsinniges Verlustgeschäft. Dann finden sich da noch Grafikkarten mit PCI- oder AGP-Anschluss. Wer weiß denn überhaupt noch, was das ist? Damit wurden Bilder auf einen Monitor gezaubert, die heute von jedem Billig-Smartphone an Farbenpracht, Detailtreue und Schärfe übertroffen werden. Ich will jetzt nicht damit langweilen, was sich sonst noch bei mir so alles an unnützem Zeug in diversen Kisten tummelt; sicher kann ich nur sein – und der eine und die andere kennen dies vielleicht – kaum hab ich mich zum Wegwerfen durchgerungen, dauert es keine vier Wochen, und ausgerechnet dieses Teil könnte ich gerade jetzt unglaublich gut gebrauchen. Also werf ich mal lieber nix weg.

Die Rettung für uns Nie-Etwas-Wegwerfkönner und Alles-Aufbewahrer vor dem Raumnot-Supergau brachte das Smartphone: Auf kleinstem Raum lässt sich nun eine Unmenge des größten Schwachsinns, manchmal aber sogar ein paar Nützlichkeiten unterbringen. Apps ist das Zauberwort, steht eigentlich für application=Anwendung, also das, was früher bei den Computern Programm genannt wurde. Und von diesen Apps gibt es zu jedem erdenklichen und manchmal auch nie gedachtem Zweck mindestens drei Versionen in den sogenannten Stores von Google oder Apple und nun auch Microsoft. Klar, ohne eine Navigationsapp kann man eigentlich kaum noch durchs Leben kommen. Zur Sicherheit wird auch gleich das Konkurrenzprodukt aufs Handy geladen – man weiß ja nie. Und da ich natürlich aus Geizgründen die kostenlose, werbefinanzierte App geladen habe, erscheint nun umgehend auf dem Display der Hinweis: »Du hast XYZ geladen, da hast du sicherlich Interesse an ABC« und da kann ich auch gleich drauf klicken, ach nee, beim Handy touche ich ja. Und schon habe ich die schon lange vermisste Wasserwaagen-App auf dem Telefon. Hat mir beim Ausrichten des Gartengrills unermessliche Dienste geleistet. Dann kommt noch gleich die Schallmessungs-App, mit der ich endlich meinem Nachbarn seine unerträgliche Geräuschbelästigung durch seinen Laubbläser, den er gerade im Aldi-Sonderangebot erstanden hat, unter die Nase reiben kann. Dann brauch ich natürlich unbedingt noch eine Banking-App, damit ich endlich unterwegs in der U-Bahn meine Geldgeschäfte erledigen kann – Sicherheit hin, Bequemlichkeit her. Ja, und natürlich die ganzen E-Mail-, Fatzebook-, Twitter- und Whats-Apps, ohne die eine Kontaktaufnahme mit meinen Mitmenschen ja kaum noch möglich ist. Als nächstes kamen dann die Hotel-Buchungs-App zum problemlosen Stornieren und die Fluglinien-App für die elektronische Bordkarte. Die Bahn-App darf natürlich erst recht nicht fehlen. Und der RMV will seine Tickets ja eigentlich auch nur noch per Handy verkaufen.

Tja, und nun ist der Speicher voll. Öffi, diese unentbehrliche App zur effektiven Nutzung des ÖPNV, will nicht mehr laden. Was tun, welche App löschen? Da ist es wieder, das Messi-Problem. Aber es ist eben viel leichter, sich ein neues Handy mit mehr Speicher zu besorgen als eine neue Wohnung mit mehr Keller. Und so machen denn die diversen Hu-apple-sungs auch dieses Weihnachten wieder Wahnsinnsgeschäfte mit uns Smartmessis.

Einen vollen Gabentisch und ein messifreies neues Jahr wünscht

Jochen Vielhauer

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