Keine Kunst? (73)

An der Behandlung der »Pussy Riot« Affäre stört mich wieder das gleiche Phänomen wie bei den dänischen Karikaturen oder ­Rushdies »Satanischen Versen«. Alle Kommentatoren und Politiker kritisieren einigermaßen verkrampft das Vorgehen des System Putin bzw. der Islamisten. Gleichzeitig distanzieren sie sich von denjenigen, die es zu verteidigen gilt, indem man ihre »Kunstwerke« herabsetzt – und zwar möglichst, ohne sie zu kennen. Womit der Kommentator sich gleichzeitig als weltgewandt, und verständnisvoll sowie als kunst- und »dialog«-beflissen gibt. Daß darin eine Bitte um Entschuldigung steckt (Wissen Sie, ich würde so etwas Unwürdiges ja auch gerne verbieten – aber leider erlauben das unsere blöden Gesetze nicht.. etc pp), die den sich Entschuldigenden als gedankenfaulen Feigling zu erkennen gibt, wird bereitwillig übersehen.

Im Falle Rushdies war es schon schwer, eine halbwegs vernünftige Begründung für die angebliche Verletzung religiöser Gefühle in seinem Text zu finden. Die dänischen Karikaturen wurden sofort als an sich minderwertige Kunstform abqualifiziert – und dem »Pussy Riot«-Gedicht oder Songtext wird flugs Geschmacklosigkeit und Blasphemie unterstellt.

Tatsächlich ist ihr Gedicht aber sprachmächtig, voller Leidenschaft und Zorn – und im Vergleich zu den Sprechblasen, die hierzuland die Occupy-Bewegung von sich gibt, hohe Literatur. Diesen Text in Rußland öffentlich vorzutragen, dazu gehört ein Mut, den man nur rückhaltlos bewundern kann.

Der fragliche Text geißelt in wütenden For­mulierungen das für korrupt-gehaltene System Putin und seine Helfershelfer, Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, daher war auch der Ort der Veranstaltung eine russisch-orthodoxe Kirche.

Im übrigen läßt sich die Kritik von »Pussy Riot« an den Zuständen in Rußland auch über ihren Songtext hinaus gut und nachvollziehbar begründen.

Die Straftatbestände, die es hier zu verhandeln gälte, sollten bestenfalls Hausfriedensbruch und grober Unfug sein. Üblicherweise wird so etwas mit einer Geldstrafe sanktioniert werden. Zwei Jahre Gefängnis sind ausgesprochen hart . (Auch bei uns kann übrigens »Gotteslästerung« mit bis zu 3 Jahren Haft bestraft werden.)

Das ist immer noch besser als das Todesurteil (besser der Aufruf zum Mord) der Islamisten gegen Rushdie und den dänischen Karikaturisten.

Wem Harold Pinters Rede gegen Blair und Bush nobelpreiswürdig war (wozu ich nicht gehöre), dem sollte es der Text von »Pussy Riot« auch sein.

Kurt Otterbacher

http://freepussyriot.org/content/lyrics-songs-pussy-riot

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert