»24 Wochen« von Anne Zohra Berrached

Eine Herausforderung

Wenn man die misslungene, internationale Babelsberg-Produktion »Jeder stirbt für sich allein« beiseite lässt, war »24 Wochen« der einzige deutsche Wettbewerbsfilm der diesjährigen Berlinale. Dementsprechend hoch waren auch Erwartung und Skepsis. Warum ausgerechnet der? Dazu kam, dass nur ein Expertenkreis die Regisseurin Anne Zohra Berrached kannte, die aber einen vielversprechenden Lebenslauf vorweisen kann.

»Zwei Mütter«, das Langfilmdebüt der 1982 geborenen Erfurterin, lief in der Reihe »Perspektive Deutsches Kino« der Berlinale 2013 und ihr Kurzspielfilm »Die rechte Hand« im selben Jahr in Hof. Beide waren, wenn man so will, »Frauenfilme«, das heißt: sie handeln von Frauen und ihren spezifischen Problemen. Während es in »Die rechte Hand« um eine fünfundfünfzigjährige Chefsekretärin ging, die ihre berufliche Stellung in Gefahr sieht, und in »Zwei Mütter« um den Kinderwunsch eines lesbischen Paares und um die damit verbundenen Schwierigkeiten, geht es nun, in »24 Wochen«, um eine Schwangerschaft und um die im Verlauf auftretenden Komplikationen.  
Die beiden letztgenannten Filme gelten als »dokumentarische Spielfilme«, also eine Bezeichnung, die sich einer Einordnung im Grunde widersetzt.  Die Geschichte ist erfunden, neben Schauspielern agieren aber auch betroffene Fachleute, die dem Film einen realistischen Rahmen geben. Sofern diese kameratauglich sind und ungekünstelt sprechen, kann das zu überzeugenden Resultaten führen (Alexander Kluge hat dieses Stilmittel in seinen Filmen eingesetzt).
Ebenso gehören eine einfühlsame Regisseurin und die richtigen Schauspieler dazu. Wie Julia Jentsch in »24 Wochen«: Sie spielt die Kabarettistin Astrid Lorenz, die ein Kind erwartet und auch darüber einen hübschen Witz machen kann. Astrid tritt in der »Ladies Night«, bei »3satfestival« und »Nuhr im Ersten« so überzeugend auf, dass man meint, sie im Fernsehen auch schon in diesem Zusammenhang gesehen zu haben. Immer im Hintergrund wirkt ihr Mann Markus als Manager, der sie liebevoll unterstützt. Bjarne Mädel befreit sich hier erfolgreich von der Rolle des Bürotrottels Berthold Heisterkamp, den wir aus der Serie »Stromberg« kennen.
Astrid und Markus haben eine neunjährige Tochter und ein Hausmädchen, das sich um sie kümmert, wenn die Mutter zu ihren Auftritten unterwegs ist. Als ein zweites Kind erwartet wird, freuen sich alle. Die Belastung werden sie schon bewältigen können. Bis hierher also Familienidylle. Doch die von Beginn an einmontierten Bilder aus der Gebärmutter irritieren ein wenig – die finden wir so nicht in den heilen Vorabendserien.
Sie kündigen den Einbruch des Schicksals an, der die wohlgeordnete Idylle zerstören wird. Denn Astrids Schwangerschaft verläuft nicht reibungslos. Ihr Kind wird mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen. Ein Schock, doch die Eltern wollen die Herausforderung annehmen. Astrids Mutter Beate (Johanna Gastdorf) soll helfen, gemeinsam werde man es schon schaffen. Doch bei einer weiteren Untersuchung im sechsten Monat wird ein schwerer Herzfehler entdeckt, der nach der Geburt operativ korrigiert werden muss. Kein Medikament, keine Behandlung kann da helfen. Und so stehen Astrid und Markus vor der Entscheidung: ein schwer behindertes Kind zu bekommen oder den Spätabbruch der Schwangerschaft zu wählen.  Es treten auf: eine Frauenärztin, ein Pränataldiagnostiker, ein Kinderherzchirurg, ein Geburtsmediziner, eine Neugeborenenmedizinerin, zwei Hebammen und eine Sozialarbeiterin. Sie erklären, versuchen zu beruhigen, aber den Gewissenskonflikt müssen die Eltern und letztendlich Astrid allein lösen.
Den Film zeichnet aus, dass er nicht einfach auf dem Standpunkt »mein Bauch gehört mir« verharrt, sondern das emotionale und damit auch ethische Dilemma mit großer Empathie angeht. »24 Wochen«, diese moderne Tragödie, ist ein tief bewegendes Kinoerlebnis, wie man es heutzutage nur selten findet. Man darf gespannt sein, ob sich das Arthouse-Publikum darauf einlassen wird.

Claus Wecker

24 WOCHEN
von Anne Zohra Berrached, D 2016, 103 Min.
mit Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Johanna Gastdorf, Emilia Pieske, Maria-Victoria Dragus, Mila Bruk
Drama
Start: 22.09.2016

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